06.02.2014 | Pressemitteilung zu den Graffitis

Am 06.02.2014 an Presse gegangen.

Über Graffitis und bürgerliche Empörung
Bunter Protest sorgt für Eklat. Hakenkreuze bleiben unkommentiert.

In den vergangenen Tagen wurde in den lokalen Medien immer wieder über ein paar Graffitis berichtet, die auf die Zelle Bezug nehmen. Nun ist das Thema um ein bisschen Farbe sogar soweit hochgekocht, dass die sonst so schweigsame OB Bosch dazu Stellung bezog. Die Empörung ist groß. Vor allem auf bürgerlicher Seite. Fast so, als hätte man zum ersten Mal Farbe im grauen Alltag von Reutlingen entdeckt.

Wir fragen uns jedoch. Wo ist die Empörung der Bürger, wo sind die Zeitungsartikel der lokalen Medien und Ansprachen der OB Bosch, wenn in der Reutlinger Innenstadt z.B. Hakenkreuze gesprüht/getaggt werden, wie es die Antifa RT/TÜ dokumentiert? Wo ist der öffentliche Aufschrei, wenn an der REWE Einfahrt großflächig gesprüht wird? Wo ist der Ärger, wenn Nazigruppierungen ihre Hetze durch Sticker und Plakate in Reutlingen verkleben?

Hier wird mit zweierlei Maß gemessen. Die Tatsache, dass die Stadtverwaltung nichts auslässt, um dieses Thema politisch so gut es geht zu unserem Nachteil auszuschlachten zeigt sehr deutlich worum es ihr dabei geht: Nämlich darum, die Zelle öffentlich zu diskreditieren und als „unkontrollierbaren Haufen, der die Schranken einer starken Stadtverwaltung benötigen würde“ darzustellen. In dieser Schwarz/Weiß-Logik werden alle negativen Folgen des Konflikts auf die Zelle projiziert. Das ist falsch und lässt außen vor, dass die Zelle weder die Möglichkeiten noch das Interesse hat, ihre Sympathisant_innen zu kontrollieren oder ihnen ihre Protestform vorzuschreiben.

Dazu passt auch das Verhalten einer Oberbürgermeisterin, die sich solange bedeckt hält und ihrer Verantwortung entzieht, bis sie die Chance sieht durch ein nichtssagendes Statement die Zelle mal wieder zu diskreditieren und sich dabei selbst als Hüterin von „Recht und Ordnung“ zu inszenieren. Wir fragen aber was für eine Ordnung und was das für ein Recht das ist, wenn unabhängige Jugendbildungsarbeit durch Verwaltungsakte systematisch behindert, bedroht und letztlich handlungsunfähig gemacht werden soll?
Es geht keinem in der Stadtverwaltung um eine wirkliche Lösung. Das stellten sie nicht erst in Bezug auf den Mediations-Vorschlag des VGH Mannheim klar, sondern war schon immer der Tenor jedes Gesprächsangebots. Ja, man wolle mit uns diskutieren, aber die Konzession ist alternativlos.

Dass aus einer derartigen Ohnmachtsposition heraus kleine Teile der Sympathisant_innen zu Mitteln wie Protestsprühen greifen, können wir mehr als verstehen, auch wenn wir das als Zelle nicht unterstützen! Die Stadtverwaltung lässt nämlich in ihrer Empörung aus, dass die Notwendigkeit solcher Protestformen von ihnen selbst erzeugt wird. Wo die Logik der Verfügung und der Rahmen der Machtverhältnisse keinen Weg für eine Diskussion auf Augenhöhe bietet, werden eigene Wege geschaffen, die sich diesem Rahmen entziehen.

Wir können daher nur an die Bürger und Bürgerinnen appellieren, sich nicht durch ein wenig Farbe von der eigentlichen Problematik – dem Versuch die Zelle in ein kommerzielles Korsett zu pressen – ablenken zu lassen.

Original PDF an Presse: PM_Graffiti.pdf