Ordnungsamt greift Zelle an!

 
Pressemitteilung Kulturschock Zelle e.V. zu den Verhandlungen mit der Stadt Reutlingen, und den derzeitigen Zuständen, 03.04.2018
Seit dem 19.12.2015 bis heute zieht sich nun schon der Streit um unsere Gestattungen und Veranstaltungen. Damals bekam die Zelle ein Schreiben vom Ordnungsamt Reutlingen, indem die Aussetzung unserer Gestattungen aufgrund der „spezifischen Gefahrenlage“ bei diversen Veranstaltungen, und der fehlenden Einhaltung diverser überzogener Auflagen mitgeteilt wurde.

Zwei Veranstaltungen sollten in den darauf folgenden Monaten stattfinden, die die Drohung vom Ordnungsamt konkretisierten. Am 06.02.2016 und 30.04.2016 fanden diese Veranstaltungen statt, schwerwiegend waren vor allem die Folgen der Party Ende April.

Die Verbotsverfügung zur Aussetzung aller öffentlicher Tanzveranstaltungen ließ nicht lange auf sich warten: Drohung des Verbots aller Veranstaltungen mit Eintrittsgeldern, bei Zuwiderhandlung Vollstreckung durch unmittelbaren Zwang. Die Vorwürfe des Ordnungsamtes: Durchführung ohne notwendige Gestattung, Herbeiführen von Gefahrensituationen durch unsere Veranstaltungsformate, das Schaffen eines rechtsfreien Raumes durch teil Umzäunung, akute Notfälle durch den von uns ausgeschenkten Alkohol und Drogenfunde bei Gästen,…

Wir antworteten unsererseits, dass die Auffassung des Ordnungsamtes zur Bewirtschaftung unseres Außenbereichs im Sinne des Vergleiches lediglich eine persönliche Meinung zu sein scheint, keinesfalls geltendes Recht. Der Streit darüber, was ein bewirtschafteter Außenbereich sein soll, dauert noch immer an; einige Gäste, die im Außenbereich der Zelle eine Zigarette rauchen und sich unterhalten, und dazu noch ein paar Sitzgelegenheiten ist das aber wohl nicht. Ebenso ist unser Veranstaltungsprogramm sehr facettenreich und zielt nicht darauf ab, möglichst stressige und gefährliche Partys zu veranstalten, denn das wäre ja kaum in unserem Interesse. Auch der Vorwurf der Gefährdung unserer Gäste durch Mischkonsum hielten und halten wir für unhaltbar: bei jeder Veranstaltung ist Sicherheitspersonal der Zelle dafür zuständig, die Veranstaltung und auch die Gäste zu schützen, und bei Großveranstaltungen haben wir professionelle Sanitäter und externes Schutzpersonal. Darüber hinaus kooperieren wir mit der Drogenberatung Reutlingen, und weisen überall auf unserem Gelände darauf hin, dass der Konsum illegaler Drogen zum Rauswurf führt und nicht gestattet ist.

Wir drückten auch sofort unsere Kooperationsbereitschaft aus, und erhofften uns von den folgenden Gesprächen mit dem Ordnungsamt konstruktive Lösungsmöglichkeiten, und in der Konsequenz wieder Veranstaltungen mit Gestattungen machen zu können.

Denn unsere ehrenamtliche Arbeit finanziert sich größtenteils aus unseren Veranstaltungseinnahmen, die wir somit benötigen um unser Zentrum am Leben zu halten, und den Menschen die sich dort verwirklichen möchten auch eine Grundlage bieten zu können.

Die Gespräche wurden angesetzt, der Dialog fand statt; wenn auch begleitet von heftigen Diskussionen, denn wenn ein fast 50 Jahre bestehendes autonomes Zentrum sich mit der Stadtverwaltung und der Polizei an einen Tisch setzt, dann sorgt das teilweise für erhitzte Gemüter. Trotzdem war und ist es uns wichtig, eine Lösung zu finden, mit der alle leben können und die diesen sich ziehenden Streit beendet. Also arbeiteten wir Kompromissvorschläge aus (was bei einer basisdemokratischen selbstverwalteten Gruppe mitunter schwierig ist), und trafen uns ein ums andere Mal mit Herrn Keppler, Herrn Stör und anderen Vertretern der Ämter Reutlingens. Man kam sich bei diesen Gesprächen manchmal vor, als würde man in bedeutend anderen Welten leben; wir nahmen uns aber vor, die Gesprächspartner bzw. ihre Anliegen ohne eine festgefahrene Meinung anzuhören.

Es sei hier auch angemerkt, dass wir nicht generell alles für falsch befinden, was das Ordnungsamt sich wünscht; wir sind mehr als alle anderen daran interessiert, sichere und schöne Veranstaltungen durchzuführen. Ebenso wäre es das Tollste für uns, wenn wir mehr Konzerte, Kleinkunst, Theater oder Vorträge organisieren könnten – doch all diese Dinge wollen leider bezahlt werden, genauso wie die Miete, Strom, Wasser, Telefon, Getränkebestellungen, GEMA Gebühren und vieles mehr.

Da wir aber aufgrund der Aussetzung der Gestattungen nur maximal fünf Euro Eintritt verlangen dürfen (nach Vergleich von 2014, Ausnahme sind live Konzerte), sind wir gefangen in einer Endlosspirale der preiswerten, aber gewinnreichen Elektronischen Tanzveranstaltungen, die unsere Existenz sichern.

Es folgten weitere Briefe im Zeitraum der Verhandlungen, zB am 09.10.2017, worin uns erneut Verstöße gegen den ausgehandelten Vergleich und eine Außenbewirtschaftung vorgeworfen wurde. Auch wurde uns eine Umzäunung unterstellt, die beim anschließenden Gespräch mit der Stadtverwaltung vom Ordnungsamt wieder zurückgezogen wurde – wir sicherten jedoch zu, bis zur endgültigen Klärung der Verbotsverfügung komplett auf Zäune zu verzichten, damit wir uns alle nicht an derlei Lappalien aufhalten müssen.
Erneut wurde uns auch die „Drogensituation“ vorgehalten, und wir reagierten mit konkreten Maßnahmen, die wir auch umsetzen und ständig daran weiter arbeiten.
Der Konsum und Handel wird konkret durch kontrollierende Maßnahmen durch den „Schutz“ unterbunden, und das Schutzpersonal wird der Veranstaltungsgröße angepasst, damit immer ausreichend Personen anwesend sind. DealerInnen erhalten ein dauerhaftes Haus- und Inselverbot, Brennpunkte wie Toiletten oder dunkle Ecken im Innen- und Außenbereich werden regelmäßig kontrolliert, und durch Ausleuchtung unbenutzbar für illegale Aktivitäten gemacht. Bei Großveranstaltungen sind wir bereit, professionelle Sicherheitsdienste hinzuzuziehen, wenn uns die Stadt bei der Finanzierung unterstützt.
All dies wurde aber in nahezu jedem Gespräch erwähnt, wiederholt und von uns mittlerweile auch gefühlt zu allem und jedem dazu geschrieben. Jedoch nützen all die Anstrengungen kaum etwas, denn beim letzten Zelle Stadt Gespräch brachte der Vertreter der Polizei ein, dass unser Kompromissvorschlag für ihn nicht annehmbar sei. Da saßen wir nun am Tisch, und waren erstmal baff – es musste also wieder diskutiert werden, und womöglich neue Kompromisse gefunden werden, und das nach monatelanger Arbeit.
Wir schrieben der Stadt am 09.01.2018 ein Antwortschreiben, in dem wir ausdrücklich klar machten, bei unserem Kompromissvorschlag bleiben zu wollen. Dieser besagt, dass die Polizei bei Großveranstaltungen verdachtsunabhängige Rundgänge im Außenbereich der Zelle, in Begleitung eines Zellis, durchführen kann. Ebenso sichert der Kompromiss der Polizei für jede Veranstaltung zu, bei einer konkreten Straftat auch das Gebäude betreten zu können – was ja auch etwas mit gesundem Menschenverstand zu tun hat. Um das Jugendschutzgesetz durchzusetzen, was dem Ordnungsamt wie auch der Polizei sichtlich wichtig ist, sagten wir ebenfalls zu, bei Großveranstaltungen externe Schutzpersonen einzusetzen, um den Jugendschutz selbst gewährleisten zu können; was auch seit nun fast 50 Jahren funktioniert.
Eigentlich ein guter Kompromiss, wenn man bedenkt dass die Zelle seit fast 50 Jahren ein sagen wir mal eher angespanntes Verhältnis mit der Polizei führt.
Hier sei kurz angemerkt, warum wir uns kritisch mit der Institution Polizei auseinandersetzen: seit Jahren werden Gäste im Umfeld der Zelle teilweise erniedrigenden, und auch überzogenen Personen- und Intimkontrollen unterzogen. Ob bei uns auf dem Gelände, in der Innenstadt von Reutlingen, auf Demonstrationen und auch sonst überall im Land: viele Menschen fühlen sich durch PolizistInnen nicht sicherer, sondern haben durch selbst gemachte Erfahrungen eine berechtigte Abneigung gegen das Vorgehen und Verhalten der Polizei.
Wir jedoch trotzdem bereit, die Gespräche am Laufen zu halten, und auf einen zufriedenstellenden Kompromiss hinzuarbeiten – auch mit der Polizei.
Die Antwort des Ordnungsamtes Reutlingen erhielten wir nun drei Monate später nach unserem letzten Gespräch.
Darin heißt es, dass „nach wie vor entscheidende Differenzen in den Positionen und Auffassungen“ bestehen – wobei wir wieder beim Thema wären. Das Ordnungsamt und wir haben unterschiedliche Positionen, aber genau das beinhaltet ja eine Verhandlung und ein Kompromiss. Dass man sich aufeinander zu bewegt, was das Ordnungsamt schlicht nicht tut.
Weiterhin teilte uns Herr Keppler mit, dass das Ordnungsamt nicht umhinkomme, die 2016 angedrohte Verfügung hinsichtlich öffentlicher Tanzveranstaltungen nun doch zu erlassen; und zwar aus dem offensichtlichen Grund, dass wir nicht komplett auf die festgefahrene Vorstellung des Ordnungsamtes eingehen wollen. Das bedeutet konkret: keine Veranstaltungen mit Eintrittsgeld, und damit einhergehend massive Einschränkungen und die Gefahr unser Jugendzentrum nicht mehr erhalten zu können.
Der Brief des Ordnungsamtes schließt damit, dass sie dem Gemeinderat Reutlingen unmöglich die Empfehlung geben könnten, uns die Zuschüsse für unsere Festival zu genehmigen; und zwar mit der Begründung, dass der Polizei der Zutritt zum Gebäude für Jugendschutzkontrollen nicht gewährt wird.
Unser Festival wird jedoch größtenteils tagsüber stattfinden, die Polizei darf natürlich auf unser Gelände kommen (wie auch von uns zugesichert), und die Sicherheit unserer Gäste soll am Samstag Abend des Festivals (wo eine Party stattfinden wird) mit Unterstützung von externen Schutzkräften gewährleistet werden.
Unserer Meinung nach benutzt das Ordnungsamt die Zuschüsse als Druckmittel, um uns zu überzeugen, einfach zu allem Ja und Amen zu sagen.
Nahezu zeitgleich erhielten wir ein Schreiben des Landratsamtes Reutlingen, dass uns darüber informierte, uns die Trägerschaft freier Jugendhilfe Ende März entziehen zu wollen. Nun, wir sind ja mittlerweile geübt im Antwortschreiben und Stellungnahmen verfassen, also setzten wir uns an den Brief.
Erstaunlich finden wir aber vor allem, dass das Landratsamt Bezug auf unser Schreiben an die Stadtverwaltung vom 09.01.2018 nimmt. Dort wird davon gesprochen, dass wir uns weigern würden die Polizei aufs Gelände zu lassen, was (wie oben gelesen) eine Lüge ist. Es ist mehr als ein Schlag ins Gesicht für uns, von unseren Verhandlungspartnern monatelang keine Rückmeldung zu bekommen, und dann zeitgleich von einem anderen Amt weitere Drohungen zu erhalten. Das wirkt auf uns leider wie der Versuch der Stadtverwaltung, zum Erreichen ihrer Ziele Umwege zu gehen, um uns unsere ehrenamtliche Arbeit zu erschweren.
50 Jahre Jugendkultur, Gegenkultur, Autonomie, Selbstverwaltung, Ehrenamt, Arbeit und eigener Einsatz von Zeit für andere werden also von der Stadtverwaltung nur unterstützt, wenn man ihre überzogenen Auflagen einhält, sich in Verhandlungen nur auf ihre Forderungen einlässt, und keine eigenen Kompromissvorschläge einbringt.
Das macht uns wütend und traurig, und zwar jeden Tag aufs Neue. Wir stecken tagtäglich Energie in dieses Zentrum, organisieren zB Vorträge zum Thema Depression, entmüllen die Insel, putzen die Küche, planen Veranstaltungen, designen Plakate, wühlen uns durch unseren Papierkram, und versuchen nebenher Probleme zu klären, die man sonst bei ausgebildeten StreitschlichterInnen, PsychologInnen oder AnwältInnen findet.
Für diese Arbeit wollen wir geschätzt werden, und nicht auch noch durch Behörden daran gehindert werden; denn so kommt es uns leider vor. Man kann auch noch so viel verhandeln und kompromissbereit sein: wenn man selbst der Dorn im Auge der Stadtverwaltung ist, genügt anscheinend kein beidseitiges Entgegenkommen, sondern nur kleinbeizugeben.
Wir werden nicht klein beigeben, und wir wollen nicht, dass das alles im Stillen passiert!
Wir wollen unsere Arbeit weiterführen, ohne ständig Steine in den Weg gelegt zu bekommen! Wenn wir als ehrenamtliche junge Menschen gegen eine Stadtverwaltung ankämpfen müssen, uns ständig neue Kompromisse, Stellungnahmen und Konzepte zum Überleben erarbeiten müssen, dann bleibt etwas wichtiges auf der Strecke:
die tägliche, schöne und auch spannende Arbeit mit und für junge Leute!
Wir sind weiterhin offen für Kompromisse, und werden auch weiter zu klärenden Gesprächen bereit sein – dann aber erwarten wir dieselbe Haltung auch von unserem Gegenüber, und ein Entgegenkommen der Stadt!
Zelle bleibt!